Bild: SharpTone Records

I Let It In And It Took Everything

Loathe

​Loathe bedeutet Chaos. Period. Okay, übersetzt zwar nicht direkt, die Musik der Jungs aus Liverpool aber in jedem Fall. Wer sich bislang noch nie in der wirr tristen Brillanz der fünf Engländer verloren hat, muss dies nun ganz direkt nachholen. Zwischen schwermütiger Post-Grunge-Ästhetik à la Deftones und modernerer Core-Brutalität schmeckt auch das Zweitwerk der Jungs irgendwie nach Heimat.

Mit „I Let It In And It Took Everything" legen Frontmann Kadeem France und seine musikalischen Mitstreiter ein absolutes Meisterwerk einer neuen Szene nach, das die Genialität des „The Cold Sun"-Debüts mehr als gekonnt weiterspinnt. Aufkeimende Hoffnung findet man lediglich vereinzelt in der Lyrik, die Kadeem und Clean-Sänger Erik Bickerstaffe für das zweite Studioalbum zusammengezimmert haben, sucht man fern der Poesie ansonsten aber weitestgehend vergebens. „I Let It In And It Took Everything" bringt die maximal depressive Denkweise der späten 90er zurück, wirft erdrückende Schatten in vormals lichtdurchflutete Räume und regt dabei arg zum Nachdenken an.

Wer einst mit Bands wie Staind, Taproot, Mudvayne oder eben Deftones aufgewachsen ist, steigt direkt vom ersten Ton des „Theme"-Openers an in eine Zeitmaschine. Trotz der modern hochwertigen Produktionsqualität des Platte wirkt der Sound an sich ungemein vertraut, ohne dabei aber zu sehr die genannten Ikonen kopieren zu wollen. Loathe haben einen vollends eigenen Stil für sich entdeckt, der das wundervoll tragische Gemüt der fünf Liverpool-Boys widerspiegelt und musikalisch gesehen aus sämtlichen Rohren feuert.

Mal halsbrecherisch geradlinig, pointiert eskalierend wie auf „New Faces In The Dark", mal entschleunigt, geradezu nachdenklich und sagenhaft schwermütig wie auf „Two-Face Mirror" präsentieren sich Loathe im Vergleich zum Vorgänger nun sogar noch experimentierfreudiger. Schon die zwischenzeitlich veröffentliche Split-Platte „This Is As One" aus 2018, die Loathe gemeinsam mit ihren Freunden und Labelkollegen Holding Absence zusammenstellten, ließ einen leichten Aufwind vermuten. Dennoch: Was Loathe hier vor allem instrumentell abliefern, ist ganz großes Kino. Neben den beiden Dudes am Mikrofon, wobei Clean-Sänger Erik zusätzlich einen der beiden Gitarrenparts übernimmt, zeigen sich auch Connor Sweeney (Gitarre), Feisal El-Khazragi (Bass) und Sean Radcliffe (Drums) so stark, selbstbewusst und abwechslungsreich wie nie. Kein Wunder, dass die Jungs seit Release ihrer ersten „Prepare Consume Proceed"-EP in 2015 als Retter einer ganzen Szene gehandelt werden - der 7. Februar 2020 ist ein guter Tag.

„Schau mir direkt in die Augen, ich zeige dir, wer ich in meinem Inneren bin", heißt es auf „A Sad Cartoon" - sehr viel besser könnte man die Essenz dieses Meisterstücks kaum zusammenfassen.

Melancholie kann so schön sein: Mit ihrem Zweitwerk setzen die Briten von Loathe in Sachen Nu Deathcore vollends neue Maßstäbe.

TRACKLIST

  1. Theme
  2. Aggressive Evolution
  3. Broken Vision Rhythm
  4. Two-Way Mirror
  5. 451 Days
  6. New Faces In The Dark
  7. Red Room
  8. Screaming
  9. Is It Really You?
  10. Gored
  11. Heavy Is The Head That Falls With The Weight Of A Thousand Thoughts
  12. A Sad Cartoon
  13. A Sad Cartoon (Reprise)
  14. I Let It In And It Took Everything...